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Unterricht
zum Anfassen:
Wie Menschenrechte und Volkskunst ein Gesicht bekommen
Retablo-Künstler
aus Peru zu Gast in Klasse 8b
Rudolf-Steiner-Schule
Nürnberg
Workshop
mit Edilberto Jiménez in Frankfurt - Bericht von Amnesty
International
Der
peruanische Volkskünstler und Menschenrechtler Edilberto Jiménez
zu Gast an der Albertus-Magnus-Schule in Viernheim 12.-14. Februar
2004
Ida
Garaycochea
Dunkel ist es
und nasskalt auf dem zugigen Bahnhof in Weinheim an der Bergstraße.
Der Regionalexpress aus Frankfurt fährt ein, Bremsen quietschen,
Türen öffnen sich. Es sind nicht mehr viele Menschen unterwegs
nach 21 Uhr. Eine Türöffnung am hinteren Zugende füllt
sich mit einem großen Koffer. Sein Besitzer hievt ihn auf
den Bahnsteig, blickt suchend umher.
Wir eilen ihm entgegen und begrüßen unseren Gast, Edilberto
Jiménez, Menschenrechtler und Volkskünstler, aus Ayacucho
/ Perú.
Er hat einen
erfüllten Tag hinter sich: workshop in einer Frankfurter Behindertentagesstätte,
wuselige Kinder, die alle mit Edilbertos Hilfe Figuren formen wollen
- Menschen, Tiere, Pflanzen - für einen Retablo, einen tragbaren
Altarschrank.
Seit zehn Tagen
ist Edilberto nun in Deutschland, eingeladen zur Finissage einer
Ausstellung peruanischer Volkskunst, die das Nürnberger Menschenrechtszentrum
seit November unter dem Titel " Wenn das Leid Gestalt annimmt"
zeigte.
Die letzten
vier Tage seines Deutschlandaufenthaltes hat der sympathische, bescheidene
junge Peruaner der Albertus-Magnus-Schule in Viernheim versprochen.
Nach kurzer Nacht - die Gespräche mit Edilberto über die
Situation der Hochland-Peruaner, Prognosen für die Zukunft
des Landes finden kein Ende - stellt sich der 35-Jährige auf
einen 10-Stunden-Tag am Städtisch-Bischöflichen Gymnasium
der Vierzigtausend-Seelen-Stadt Viernheim ein. Und er kommt nicht
allein: unterm Arm trägt er ein Zeugnis seiner selbst: einen
Retablo, 50 x 40 x 20 cm, Volkskunst mit brisantem Inhalt.
Auf den Altar
der Schulkapelle stellt er ihn nun und blickt die neugierigen Sechstklässler
an, deren Religions - und Ethiklehrer ihnen heute eine Unterrichtsstunde
der Extraklasse bieten: sie dürfen den Gast aus Perú
mit Fragen aller Art löchern.
Gut vorbereitet
durch ihre Fachlehrer erfahren sie nun von Herrn Jiménez,
dass seine Heimatstadt im peruanischen Hochland, ca. 2700 m über
dem Meeresspiegel, liegt. Nachdenklich werden sie, als Edilberto
Jiménez ihnen die deutsche Bedeutung des Quechua-Namens "Ayacucho"
verrät: "aya" ist auf Deutsch der "Tote",
"kuchu" bedeutet "Ecke". Also aus einer "Totenecke"
kommt der nette Mann?
Und dann erzählt
er:
- dass Ayacucho
immer schon die Heimat der hartnäckigsten Patrioten war;
die Spanier haben sich am Widerstand der Ayacuchaner 1824 die
Zähne ausgebissen;
- dass in Ayacucho
ein zehnjähriger Bürgerkrieg seinen Anfang genommen
hatte. Das war im Jahr 1980, nachdem der maoistisch orientierte
Philosophie-Professor Abimael Guzman viele seiner Studenten zum
bewaffneten Kampf gegen bestehende Herrschaftsstrukturen, Rassendiskriminierung
und ungerechte Besitzverhältnisse aufgerufen hatte. Diese
Ungerechtigkeit nämlich war Ursache der unvorstellbaren Armut,
unter der gerade die so genannten Campesinos, die Hochland-Bauern,
zu leiden hatten.
- dass während
dieses Bürgerkrieges unglaubliche Greueltaten verübt
wurden von Polizisten, Soldaten, bewaffneten Bauern an ihren eigenen
Landsleuten.
Die Schulstunde
mit ihren 45 Minuten war viel zu kurz, um die sichtlich mit-fühlenden
Elfjährigen zu diesem Thema zufrieden zu stellen.
Doch da stand
ja auch noch die ganze Zeit über der Retablo auf dem Altar:
zunächst ein unscheinbarer Kasten, die beiden Flügeltüren
fest verschlossen. Kaum jedoch waren diese zurückgeschlagen,
eröffnete sich den staunenden Kindern eine andere Welt.
Der kleine Marvin beschrieb seinen Mitschülern, welches Bild
sich ihm aus der Nähe auftat:
Im Retablo standen sich zwei Menschengruppen gegenüber: von
links bewegten sich Männer und Frauen, vor allem aber Studenten
und Schüler sehr entschlossen auf die rechte Gruppe zu, Spruchbänder
mit sich führend, auf denen u.a. zu lesen stand: "Botas
se regala, libros cuestan caro" - "Stiefel bekommen wir
geschenkt, Bücher müssen wir teuer bezahlen". Oder:
"Unidos caminamos" - "Vereint marschieren wir".
Oder: "Lucha unida" - "Gemeinsamer Kampf". Gegen
wen hier gekämpft wurde, demonstrierte die rechte Menschengruppe:
Soldaten mit Gewehren, mit Gewehren, die schon abgefeuert waren,
wie man an den Leichen unter den Demonstranten unschwer erkannte.
Edilberto klärt auf, dass dieser Retablo die Geschichte eines
Protests wütender Studenten, Schüler und deren Eltern
im Jahre 1970 erzählt. Diese sollten auf einmal Strafe zahlen,
wenn ihre Kinder das Schuljahr nicht erfolgreich absolviert hatten,
was einer Erhebung von Schulgeld gleichkam. Und Schulbildung war
in der Verfassung als kostenlos garantiert.
Das Erstaunlichste
für die Viernheimer Gymnasiasten: die selbstverständliche
Solidarität aller sozialer Gruppen, um gegen Unrecht anzugehen,
und koste es das eigene Leben!
Ort dieser Konfrontation der Hochland-Bewohner mit der Staatsgewalt
war Ayacucho. Das hat der Künstler Edilberto Jiménez
durch die kunstvoll ausgemalten Rück- und Seitenwände
des Retablo und dessen Türen verdeutlicht. Im Zentrum der Rückwand
nämlich dominiert eine Kirche im Kolonialstil - eines von 33
Gotteshäusern für Ayacuchos 4000 Einwohner. Allerdings
repräsentieren sie heute im Unterschied zur spanischen Besatzungszeit
nicht mehr Macht und Einfluss der katholischen Kirche. Es fehlt
allerorten an Priestern, hauptsächlich im entlegenen und unwirtlichen
peruanischen Andenhochland.
Und hier ergab
sich schon ein neues Thema für die konzentriert lauschenden
Schüler:
Nicht nur der katholische Glaube ist allgegenwärtig in Perú,
sondern vor allem und gleichwertig die jahrhundertealten Glaubensvorstellungen
aus der Inkazeit mit den dominierenden Göttern "Inti"-"Sonne",
"Killa"-"Mond" und "Pacha Mama"-"Mutter
Natur".
Sonne und Mond
leuchten daher auch im Retablo, gleichberechtigt jeweils rechts
und links neben dem Kirchturm. Tiere und Pflanzen als Symbole für
Pacha Mama prägen vor allem die Türflügel.
Der Schulvormittag vergeht wie im Flug, und Edilberto Jiménez
äußert immer wieder, dass er sicher genau so viel lernt
von den Schülern wie diese von ihm. Er ist fasziniert von der
Ernsthaftigkeit der Fragestellung und erstaunt darüber, dass
hier, im fernen Deutschland, Fragen auftauchen, die der Menschenrechtler
bei ähnlichen Veranstaltungen in Perú bisher vermisst
hatte.
Eine Doppelstunde
in einer neunten Klasse mit "Spanisch" auf dem Stundenplan
verschafft eine kleine Verschnaufpause vom wechselseitigen Übersetzen
Spanisch-Deutsch-Spanisch. Edilberto vermittelt den Schülern
sehr überzeugend, wie wichtig das Beherrschen einer Fremdsprache
ist!
Unvergessen bleibt für die Schüler diese Spanischstunde,
erfahren sie doch, dass man schon nach fünf Monaten Fremdsprachenlernen
sehr viel versteht und sich auch selbst mitteilen kann. Dass die
Lehrbuchlektion der vergangenen Woche ausgerechnet "Perú"
zum Thema hatte, wirkt wie eine Schicksalsfügung! Und so musste
Edilberto Jiménez den Neuntklässlern ehrlich auf die
Frage antworten, ob er denn Cocablätter kaue?!
Die hätte
er sicher nach der 7.Std. gut brauchen können, nachdem zuvor
mit einem Leistungskurs 12.Klasse heftige Diskussionen zu "Politik
und Wirtschaft" auf dem Plan standen.
Dann jedoch: Mittagspause in der OASE, einem gemütlichen Raum
der Schulseelsorge an der Albertus-Magnus-Schule.
Der Kochtopf wird ausgepackt. Doch nicht etwa für die Zubereitung
eines leckeren Süppchens! Nein, heute Mittag, von 15 bis 17
Uhr, ist workshop angesagt für interessierte Schülerinnen
und Schüler. Die werden in der "Meisterklasse Jiménez"
einen Retablo zu Ehren des Schulpatrons, des Heiligen Albertus Magnus,
schaffen.
Für die Grundsubstanz der Figuren nehme man: Mehl, rühre
es in heißem Wasser so lange, bis es die richtige Dichte hat.
Jeder
Schüler bekommt nun vom Meister höchstpersönlich
einen kleinen Klumpen ("(
)Hier sitz' ich, forme Menschen/Nach
meinem Bilde,(
)", Goethe, "Prometheus"), der
mit Gips gemischt und dann nach Belieben zu menschlichen Körpern,
zu Tieren, Vögeln, Fischen oder Bäumen geformt werden.
Zehn Schülerinnen und Schüler begeistern sich beim Formen
von Kondor, Wal, Schlange, Männern, Frauen und Kindern. Der
Meister berät, legt Hand an und lässt zum krönenden
Abschluss der zwei kurzweiligen Stunden einen bewunderungswürdigen
Albertus Magnus zwischen seinen Künstlerhänden entstehen.
Alle sind begeistert
und freuen sich schon sehr auf den Valentins-Samstag, dem diesjährigen
"Tag der offenen Tür" unserer Schule.
Auch am Freitag
ist die Schulkapelle der wichtigste Raum der Schule, und wieder
drängen sich die Jahrgänge der siebten, zehnten und elften
Klassenstufen.
Immer wieder gestellte Fragen sind:
Wie ist die
gegenwärtige Sicherheit in Perú einzuschätzen?
Welche Konsequenzen sind von der Regierung nach Abschluss des Berichts
zu Menschenrechtsverletzungen (neun Bände!) zu erwarten?
Wie ernst nehmen Regierungsstellen die Wahrheitskommission?
Wie erträgt Edilberto Jiménez all das Wissen um die
Greueltaten?
Hat er Angst?
Warum wird Politik in einen Altarschrank "gepackt"?
Welche Abhängigkeiten zu den USA verhindern eine eigenständige
Entwicklung Perús?
Welche Eindrücke von Deutschland nimmt Herr Jiménez
mit in seine Heimat?
Wird er wiederkommen?
Und hier die
Antworten:
Der Terrorismus auf der Straße ist bekämpft, in den Köpfen
lebt er weiter.
Man fordert und erwartet Reparationszahlungen und Entschädigung
für die terrorisierte Bevölkerung.
Sehr ernst, vor allem seit der Bewusstmachung und dem breiten Interesse
in Deutschland.
Er baut Retablos.
Nein, da er keine eigene Familie hat, um deren Leben er fürchten
muss.
Der Altar verleiht dem einzelnen die größte Nähe
zu Gott. Wo, wenn nicht hier, wird seine Stimme gegen das Unrecht
gehört?
Die gleichen wie vor 500 Jahren unter den Spaniern!
Deutschland ist leise und geordnet. Man sieht nirgends Demonstrationen,
Autos hupen nicht wild drauflos, es fahren durchs ganze Land Züge.
Das wünscht er sich sehr.
Der Samstag
krönt Herrn Jiménez' Ausflug in die Welt der Schule:
Die Figuren vom Donnerstag sind getrocknet und möchten nun
angemalt und in einen Retablo eingebaut werden.
Die Meisterschüler
sind schon vor der Zeit da und tragen auf die Figuren Gouache-Farbe
auf, während Edilberto Jiménez die Tischlerplatten zu
einem Schrank von etwa 50 x 35 x 15 cm zusammennagelt. Neugierige
Eltern schauen vorbei, kommen ins Gespräch mit dem Künstler,
lassen sich von den Schülern viel von ihm und seiner wichtigen
Arbeit in Perú erzählen.
Und was Herrn Jiménez selbst in Erstaunen versetzt: Der Albertus-Magnus-Retablo
wird fertig!
Der heilige Bischof hebt vor einer Kathedrale (natürlich der
Kölner Dom!) segnend seine Arme über Mensch und Tier und
Pflanzenwelt, Sonne und Mond leuchten neben den Kirchtürmen
hell auf's Volk.
Während der Projekttage im Juli dann wird der Retablo seinen
letzten Schliff bekommen: Farbe für den Korpus und Bilder für
die Türen. Im September, zu Beginn des neuen Schuljahres, wird
er vom Schulseelsorger für die Schulgemeinde in jener Kapelle
gesegnet werden, in die Edilberto Jiménez zwei Tage lang
ein Stückchen Perú gezaubert hatte.
Und der Künstler und Menschenrechtler wird dabei sein im Gottesdienst
in den Gedanken der Anwesenden.
Perú
hat durch ihn für uns alle ein Gesicht bekommen.
Retablo-Künstler
aus Peru zu Gast in Klasse 8b
Rudolf-Steiner-Schule
Nürnberg
Eine
einzigartige Erfahrung machte die Klasse 8b am Montag, den 16. Februar
2004: Ein Künstler aus Peru zeigte einen Vormittag lang seine
Arbeit und fertigte mit den Schülerinnen und Schülern
Retablos an. Edilberto Jiménez ist Meister dieser traditionellen
Kunstform aus den Anden. Retablos (span.: Tischaltäre) sind
ornamental reich verzierte Holzkästen mit kleinen bemalten
Figuren aus Mehl, Wasser und Gips. Diese Masse wird zu Figuren modelliert
oder in Formen gedrückt, dann getrocknet, bemalt und fixiert.
Die fertigen Figuren zeigen kleine Szenen oder auch sehr komplexe,
über mehrere Etagen bevölkerte Darstellungen von Leben,
religiöser Tradition und Geschichte der Menschen aus der Region
Ayacucho in Peru.
Ursprünglich
wurden die Retablos als tragbare kleine Altäre von den Spaniern
im 16 Jhdt. nach Peru gebracht, um die eingeborene Bevölkerung
zum Christentum zu bekehren. Auf Maultieren von Ort zu Ort transportiert,
verbreiteten sich die kunstvollen Miniaturen im Land. Später
entwickelten sich Krippen und Hausaltäre daraus, die zu religiösen
Anlässen und Jahreszeitenfesten auch im Freien eingesetzt werden
konnten.
Der Bau der
Retablos mit den Jugendlichen in der Schule erfolgte auf ein spontanes
Angebot von Rainer Huhle vom Nürnberger Menschenrechtszentrum,
der auch als Dolmetscher mit anwesend war. Der Klassenlehrer Christian
Horneber nahm das Angebot mit Begeisterung in seinen erlebnisorientierten
Unterricht auf: "Da ich gerne solche etwas ungewöhnlichen
Sachen mache - denn daran erinnert man sich auch noch später
- kam die Klasse zu diesem Figurenbau. Die Holzkästen dazu
zimmerten die Schüler, während jeweils eine andere Gruppe
am Proben für das Klassenspiel war." - So ergab sich für
Herrn Horneber (Lehrer, Schreiner, Theaterpädagoge) auch das
Thema der Retablos: Die Szenen des Theaterstücks sollten als
räumliche Modelle umgesetzt werden. "Für die Klasse
war dieses Arbeiten eine unglaublich wichtige Erfahrung: Das Stück
neu sehen, gemeinsam an einer Sache arbeiten, konzentriert über
einen längeren Zeitraum an einer diffizilen Sache arbeiten,
in die Gestik und räumliche Situation des Stücks, der
Szenen hineintauchen, Kontakt mit einem sehr interessanten Menschen
aus Peru, künstlerisches Schaffen und andere Aspekte mehr."
Das ungewöhnliche Schaffen hat allen Beteiligten große
Freude gemacht und die Kinder bis in die darauf folgenden Wochen
befeuert. Die fertigen Retablos wurden im Gang vor dem Lehrerzimmer
ausgestellt und waren auch im Festsaal zu sehen, im Rahmen einer
Ausstellung zum Klassenspiel. (Einige Fotos, die Stefan Hößle
von diesen Retablos gemacht hat, sehen Sie hier.)
Die Anwesenheit
des Künstlers in Nürnberg hatte einen ernsten Hintergrund:
Als Mitglied der "Wahrheitskommission" in Peru betreibt
Edilberto Jimenez Aufklärung und Vergangenheitsbewältigung
über lange unter Zwang verschwiegene und verdrängte tragische
Ereignisse des Bürgerkriegs, als die Menschen aus Ayacucho
in ständiger Angst vor Überfällen, Verschleppung,
Verschwinden und Ermordung durch Soldatenkommandos lebten. "In
den schlimmen Zeiten des blutigen Krieges zwischen dem "Leuchtenden
Pfad" und der Armee in den achtziger Jahren zeigten einige
KünstlerInnen aus Ayacucho, welches Ausdruckspotential in dieser
unscheinbaren Volkskunst steckte. Blutrot wurde die Farbe der Retablos.
Bewaffnete KämpferInnen stürmten die Dächer der traditionellen
Keramikkirchen. [...] In einer Zeit, in der ein falsches Wort am
falschen Ort den Tod bedeuten konnte, legten sie auf ihre Weise
Zeugnis der Schrecken ab, die über ihre Heimat gekommen waren.
Nicht immer ging das gut, manches Kunstwerk wurde zerstört
oder brachte seinem Schöpfer große Probleme. Aber die
Sprache der Kunst fand auch Gehör, sogar bis in die Hauptstadt,
wo die neuartigen Werke den Blick auf die Lage in Ayacucho lenkten,
als dort kaum noch JournalistInnen berichteten, nachdem etliche
von ihnen den Tod gefunden hatten". (Rainer Huhle)
Das Nürnberger Menschenrechtszentrum hatte für eine Ausstellung
im Januar rund 100 Werke ayacuchanischer VolkskünstlerInnen
zusammengetragen.
Susanne
Hagen
Workshop
mit Edilberto Jiménez in Frankfurt - Bericht von Amnesty
International
"Peru ist
in der Nähe von Mexiko", darin waren sich die sieben Kinder
und Jugendlichen aus den Heimgruppen des Monikahauses, dem heilpädagogischen
Kinder- und Jugendheim des Sozialdienstes katholischer Frauen Frankfurt,
einig, als sie am 11. Februar zur geographischen Lage des Landes
befragt wurden, aus dem ihr außergewöhnlicher Besuch
kam. Der peruanische Künstler Edilberto Jiménez stattete
den Kindern des Monikahauses auf Einladung von amnesty international
einen Besuch ab, um mit ihnen Retablos herzustellen.
Retablos sind
Teil einer in Peru hochentwickelten Handwerkskunst. Sie werden aus
einer Knetmasse aus Mehl, Gips und Wasser hergestellt und stellen
Szenen des täglichen Lebens dar. In ihrer Darstellungsform
ähneln sie den christlichen Altaraufsätzen. Diese Kunst
entwickelte sich während der spanischen Kolonialzeit.
In den vergangenen zwanzig Jahren erhielten die Retablos eine neue
Bedeutung: Die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen
der maoistischen Untergrundorganisation Leuchtender Pfad und den
peruanischen Streitkräften, die nach neuesten Erkenntnissen
nahezu 70.000 Opfer forderte, wurden Gegenstand der künstlerischen
Arbeit von Jiménez, der selbst aus Ayacucho, einer der am
stärksten von der Gewalt betroffenen Region stammt.
Die peruanische
Wahrheits- und Versöhnungskommission, die in den vergangenen
zwei Jahren die Verbrechen der Vergangenheit aufarbeitete, erteilte
Jiménez und anderen Künstlern den Auftrag, einen Beitrag
zur Bearbeitung der Gewalttaten zu leisten: Die künstlerische
Aufarbeitung der Schilderungen und Zeugenaussagen der betroffenen
Menschen, zusammengefügt zu einem Skizzenbuch. Diese Skizzen
setzt er nun Stück für Stück in Retablos um.
Die Idee, Kindern
Menschenrechte und Kunst gleichzeitig näherzubringen, kam der
Peru-Gruppe von amnesty international in Frankfurt am Main, als
sie erfuhr, dass sich Herr Jiménez auf Einladung des Nürnberger
Menschenrechtszentrums in Deutschland befinden würde. Sie entschloss
sich, dem Künstler auch in Frankfurt ein Forum zu bieten -
in Form dieses Projekts mit den Heimkindern des Monikahauses.
Gerade Kinder,
die im Heim leben, müssen viele negative Erfahrungen verarbeiten.
So waren sie in besonderer Weise offen für das kreative Angebot,
das Edilberto Jimenez ihnen machte. Sie kneteten und werkelten Figuren,
die danach farbenfroh bemalt wurden. Dabei konnten sie die Erfahrung
machen, dass man sich auch ohne große Worte verstehen kann,
denn obwohl Jiménez nur spanisch sprach, klappte die Kommunikation
spielend.
Die Kinder und
Jugendlichen konnten sich auf diese Weise dem abstrakten Begriff
"Menschenrechte" annähern. Zugleich erfuhren sie,
wie sie negative Erlebnisse im wahrsten Sinne des Wortes "verarbeiten"
können. Nachdem die letzten Figuren fertiggestellt sind, lächelt
Katja Franke, Sprecherin der Peru-Gruppe erschöpft, aber zufrieden:
"Unser Ziel war es einerseits, auf die Geschehnisse in Peru
aufmerksam zu machen, andererseits aber diese furchtbaren Ereignisse
mit etwas Produktivem und Kreativem zu verbinden."
amnesty international setzt sich dafür ein, dass die abschließenden
Empfehlungen der Wahrheitskommission in die Tat umgesetzt werden.
©
Copyright 2004, Nürnberger Menschenrechtszentrum
buero@menschenrechte.org
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