Seit zwei Monaten gibt es die Berichte über Diskriminierungen von Menschen wegen des Corona-Virus. „Angst, Hass und Vorurteile: Wie Rassisten das Coronavirus für sich nutzen“ – unter dieser Überschrift schilderte Manon Priebe in der FAZ Beispiele aus den sozialen Medien, einerseits Hetze, andererseits Berichte von Betroffenen in den USA, die „asiatisch aussehen“. Auch in Deutschland brachte „Der Spiegel“ als Titel „Corona-Virus: Made in China“, dazu ein Bild eines asiatisch-aussehenden Mannes mit Atemmaske und rotem Umhang. Auf unserem Blog wurden die Beispiele aus Deutschland gebracht.
Der neue Hass gegen Asiaten
Frank Herrmann, Nürnberger Nachrichten
Die Nürnberger Nachrichten haben am Samstag, den 4. April 2020, die historischen Situationen in den Vereinigten Staaten in Erinnerung gerufen (über lange Jahre Einreiseverbot für Chinesen, Lager für Japaner im Zweiten Weltkrieg): „Der neue Hass gegen Asiaten“. Allerdings vermeidet der USA-Korrespondent Frank Herrmann die Begriffe Rassismus und rassistisch. Auch ich würde in diesem Zusammenhang nicht von Rassismus sprechen, solange es kein politisch-ideologisches System gibt, das z.B. konzeptionell mit der „asiatischen Gefahr“ arbeitet. Aber als Eigenschaft von Verhaltensweisen oder Texten geh es natürlich nicht ohne ‚rassistisch‘ als Eigenschaftswort.
„Corona und China“ wird auf eine sehr bemerkenswerte und provokante Weise vom Münchner Soziologen und mutigen Parteigründer Stephan Lessenich (zusammen mit Claudia Stamm hat er 2017 links von den Grünen die Partei „mut“ gegründet) verbunden. „Was gerade zu uns zurückkehrt, ist das Abbild unserer eigenen Vergangenheit, sind Bestandteile unseres industrialistischen, kolonialen, imperialen Selbst, die wir – auch für uns selbst – in die Unsichtbarkeit abgedrängt hatten“ schreibt er in einem SZ-Gastbeitrag. Das ist mir zu viel an psychoanalytisch spekulierendem, antikolonialistischem und antiimperialistischem Furor!
‚Corona-China‘-Diskurs
Aber der politische Kern bei Lessenich ist sein Bezug zur Weltmacht-Konkurrenz, in der sich die Weltpolitik und – Wirtschaft befinden. „China macht eigentlich nur das, was man früher auch im Westen machte – und für das Geheimnis des eigenen Erfolgs hielt. Eine staatsautoritäre Modernisierung von oben, die systematisch-bürokratisch die Volkswirtschaft auf Weltmarktfähigkeit und die Bevölkerung auf Untertanentum trimmt.“ Ist das die ganze Geschichte „des Westens“? Ich meine, die Einsätze und Erfolge für die Menschenrechte – ebenfalls im Westen – machen doch einen nennenswerten Unterschied, den man/frau nicht über den antiimperialistischen Kamm scheren sollte.
Dabei ist es nicht allzu schwierig, in diesem ‚Corona-China‘-Diskurs den Anspruch von Demokratie und Menschenrechten zu positionieren: Vielfach ist auf die „Chronik der Vertuschung“ hingewiesen worden (zuletzt von Lea Deuber in der SZ vom 3. April), die der kommunistischen Machtstruktur geschuldet ist. Aber die KPC lehnt ja den Anspruch von Menschenrechten nicht umstandslos ab. Es gibt durchaus eine Menschenrechtspolitik in China, genauer gesagt, eine Politik mit den Menschenrechten. „Was auf den ersten Blick widersprüchlich wirkt, lässt sich leicht auflösen: Für die kommunistische Partei Chinas (KPC) sind Menschenrechte kein unumstößliches Prinzip, sondern ein Instrument zum Machterhalt. Geschützt wird, was nützt. Seit 2004 ist der Schutz der Menschenrechte in der chinesischen Verfassung verankert. Diese unterliegt allerdings der Autorität der KPC.“ (in: „Aus Politik und Zeitgeschichte“ vom 12.9.2016, Autorin: Kristin Shi-Kupfer).
Chinas Menschenrechtspolitik
Der Freiburger Pädagoge, Soziologe und Menschenrechtsaktivist Albert Scherr berichtete im Jahr 2018 über einen „Menschenrechtsdialog“ mit halbamtlichen chinesischen Stellen, zu dem die Friedrich-Ebert-Stiftung eingeladen hatte, an dem er teilnahm. Die erklärten Ziele dieser Menschenrechtspolitik seien demnach die Herstellung von Rechtsstaatlichkeit, die Bindung der politischen Organe an geltende Gesetze, aber auch der Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt sowie die Ablehnung von Beweisen in Strafverfahren, die durch illegale Verhörpraktiken erzielt wurden.
Der entscheidende Punkt ist, ob dabei alles unter Kontrolle der Partei bleibt. Eigenständige „Rechtschutzbewegungen“ darf es nicht geben. Einer ihrer Protagonisten, Wei Jingsheng, wurde nach 14 Jahren Haft 1997 in die USA abgeschoben. Ich erinnere mich an seine Rede bei der Verleihung des Nürnberger Menschenrechtspreises an Fatimata M’Baye am 26. September 1999 in der Nürnberger Oper. Er wies die Kritik von Machthabern in Asien am ‚Eurozentrismus der Menschenrechte‘ scharf zurück und unterstrich das Interesse der chinesischen Dissidentinnen und Dissidenten an den „westlichen Werten“ wie Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Religionsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit.
Die Methoden in China sind ‚universell‘ und versammeln die Erfahrungen vieler Unterdrückungsapparate. Sie sind nicht chinaspezifisch, auch wenn die dortige „Menschenrechtspolitik“ eine nationale Prägung erhalten hat. Wir müssen konstatieren: Das umfassendste menschenrechtsverletzende System ist in der Gegenwart faktisch made in China.