Neben den Energie-Abhängigkeiten Deutschlands von Russland und der daraus resultierenden Notwendigkeit eines Energiewende-Boosters (siehe Teil 1) hat der Krieg in der Ukraine auch weitere klimapolitische Konsequenzen.
Der aktuellen Marktsituation klimapolitisch sinnvoll begegnen
Die derzeitigen Preisrekorde an den Tankstellen lösen Reflexe aus, die eine klimapolitische Gefahr mit sich bringen. So wären der pauschale Tank-Rabatt von Finanzminister Christian Lindner oder eine mögliche Steuersenkung das falsche Mittel in dieser Situation. Das nun angedachte Mobilitätsgeld seitens des Arbeitsministers Hubertus Heil wäre hier wohl sozial gerechter (Auszahlung mit dem Gehalt, gestaffelt nach Einkommen). Vor allem aber wirkt es eher indirekt und ändert nicht unmittelbar etwas an den Spritpreisen. Dies ist insofern begrüßenswert, da der psychologische Effekt („Benzin-betriebenes Autofahren ist teuer“) erhalten bleibt, doch gleichzeitig finanziell schwächere Personenkreise, die zum Teil auch noch auf die Nutzung des Autos angewiesen sind, entlastet werden. Ungeachtet dessen könnte der hohe Spritpreis aber auch nur von kurzer Dauer sein, da das Fracking in den USA und die erhöhten Liefermengen durch den Iran den Preis für Erdöl bereits wieder deutlich senken konnten.
Was es jedoch jetzt vielmehr als kurzfristige politische Maßnahmen braucht, ist eine echte Mobilitätswende, die den Namen auch verdient hat. Gerade in Zeiten von hohen Spritpreisen könnte ein Umdenken stattfinden, weg vom teuren, klimapolitisch-problematischen Individualverkehr hin zum klimapolitisch-freundlicheren öffentlichen Nahverkehr. Dafür müssten die öffentlichen Verkehrsmittel jedoch endlich wesentlich attraktiver ausgestaltet werden: günstiger, bequemer, zuverlässiger, schneller, flexibler, moderner, erreichbarer. Nur mit einem besseren Gesamtangebot können wir die Menschen zum Umstieg überzeugen. Doch auch weiterhin ist man etwa auf Landesebene in Bayern nicht gewillt, die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel zu vergünstigen und schiebt die Verantwortung zum Handeln lieber an den Bund ab.
Die Folgen von Russlands Aggressionen offenbaren die Wichtigkeit der ESG-Kriterien bei Finanzanlagen und Wirtschaftspraktiken
Ausgelöst durch die Wirtschafts- und Finanzsanktionen gegenüber Russland und dem immensen öffentlichen Druck auf globale Unternehmen, sich von ihren Geschäften und Investitionen in Russland zu trennen, verloren zahlreiche Unternehmen und Fonds an Wert, die in dem autokratischen Staat investiert hatten. Dies dürfte all diejenigen bestärken, die sich bei ihren Investments an strenge ESG-Kriterien gehalten haben und somit von Investitionen in Autokratien abgesehen haben. Diese Anforderungen an Finanzanlagen in Bezug auf Umweltaspekte, soziale Komponenten und verantwortliche Unternehmensführung (Environment, Social und Governance) können dazu beitragen, dass Finanzströme vermehrt in Unternehmen und Projekte geleitet werden, die einen klimapolitischen Mehrwert generieren. So verabschiedete sich beispielsweise auch der größte Staatsfonds der Welt, Norwegens Pensionsfonds, von russischen Anlagen als Reaktion auf die Invasion in der Ukraine.
Die Anwendung von ESG-Kriterien ist vor allem auf transparente Geschäftspraktiken angewiesen. Nur wenn der Markt transparent genug ist, können die Nachhaltigkeitsaspekte glaubwürdig genug evaluiert und auch eingehalten werden. Dass jetzt zahlreiche Staaten eingestehen müssen, dass sie nur teilweise wissen, welche Investitionen russischen Oligarchen zuzuordnen sind, könnte ein Weckruf sein. Ebenso wächst der Druck auf ganze Branchen zu höheren Transparenzpflichten und klareren Marktaufsichten, wie beispielsweise in Bezug auf den undurchsichtigen Rohstoffhandel in der Schweiz. Unternehmen dürften sich in Zukunft zudem genauer überlegen, ob sie jeden finanzstarken Sponsor hofieren wollen, wie es beispielsweise der Fußballclub 1. FC Schalke mit dem problematischen russischen Gaskonzern Gazprom jahrelang praktiziert hat.
Kampf gegen aktuelle Hungersnöte vs. Kampf gegen zukünftige Hungersnöte
Der Krieg in der Ukraine hat zu einer massiven Hungerkrise im Land geführt. Insbesondere in den umkämpften Städten im Süden und Osten des Landes und in der Hauptstadt spitzt sich die Versorgungslage erheblich zu.
„Die Menschen in den belagerten Städten sind apokalyptischen Zuständen ausgesetzt – keine Nahrung, kein Wasser, keine medizinische Versorgung und kein Ausweg.“
Janez Lenarcic, EU-Kommissar für humanitäre Hilfe und Krisenschutz
Der Angriff auf die Ukraine ist aber auch ein Angriff auf globale Nahrungsmittel- und Versorgungslieferketten. Die Ukraine und Russland werden als „Kornkammern der Welt“ bezeichnet, da sie zu den größten Weizenexporteure der Welt gehören und zusammen für fast ein Drittel des weltweiten Weizenhandels verantwortlich sind. Somit ist es nicht verwunderlich, dass der Krieg sich auch unmittelbar auf den globalen Weizenpreis ausgewirkt hat, der seitdem um rund ein Drittel gestiegen ist. Auch Mais und Raps sind knapp 20 Prozent teurer geworden, ebenso der Diesel und die Dünger für die Landwirtschaft. In der Folge verschärfen sich die Versorgungszustände in den akuten Krisenregionen wie Syrien oder Jemen weiter erheblich. Aber auch Länder wie Bangladesch, Ägypten oder die Türkei importierten bisher 60 Prozent ihres Weizens von den Konfliktparteien.
„Das wird den globalen Hunger noch weiter in die Höhe treiben.“
Martin Frick, Direktor des UN-Welternährungsprogramms in Deutschland
In Anbetracht dieser akuten Hungerkrise dürfte sich in vielen Ländern ein Prioritätenwechsel abzeichnen, der die Aufmerksamkeit vom Kampf gegen den Klimawandel hin zum Kampf gegen Hungersnöte lenkt. Doch auch hier ist es unerlässlich, dass wir in der aktuellen Krise nicht die Fähigkeit verlieren, unsere Aufmerksamkeit auf unterschiedliche Problemfelder und Herausforderungen gleichzeitig zu richten.
Es ist zu befürchten, dass aufgrund des Klimawandels bis 2050 weitere 200 Millionen Menschen an Hunger leiden werden, was einen Anstieg um fast 30 Prozent bedeuten würde. Durch verschlechterte Klima- und Umweltbedingungen werden die Ernährungsprobleme durch Wasser- und Nahrungsmittelknappheit somit immer schneller zunehmen. Regionen, die bereits heute hohe Armuts- und Hungerraten aufweisen (z.B. Südasien und Afrika südlich der Sahara), leiden infolge des Klimawandels am stärksten unter steigenden Hungerrisiken sowie Ernährungsunsicherheiten.
Ungeachtet dessen ist die nachhaltige Landwirtschaft, die auch einen wichtigen Teil zum Kampf gegen den Klimawandel beiträgt, durch den Krieg massiv unter Druck geraten. Einige Bio-Landwirte können ihre Tiere nicht mehr vollständig mit ökologisch erzeugtem Futter versorgen, da sie bisher das entsprechende Futter aus der Ukraine bezogen hatten. Auch sog. ökologische Vorrangflächen, also Flächen, auf denen die dort wachsenden Pflanzen untergepflügt werden müssen, um die Bodenqualität zu verbessern, dürfen nun in Deutschland – zunächst beschränkt auf dieses Jahr – wieder zur Futter-Herstellung bewirtschaftet werden. Längst mehren sich die Stimmen innerhalb der EU, die das eigentlich schon festgelegte Herzstück des Europäischen Green Deals „anpassen“ wollen: die Farm to Fork Strategie.
Diese EU-Strategie verfolgt unter anderem den Zweck, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln um 50 Prozent zu senken und Dünger um 20 Prozent zu reduzieren. Zudem soll der Anteil der ökologischen Landwirtschaft um 25 Prozent erhöht werden. Würde es nun tatsächlich zu einer Aussetzung oder einer Anpassung der Strategie kommen, wie es viele Stimmen fordern, wäre dies ein Armutszeugnis für alle bisherigen Bemühungen, die Landwirtschaft ökologischer auszurichten und damit auch ein weiterer Rückschlag im Kampf gegen den Klimawandel.
Isolation Russlands und massiver Vertrauensverlust schadet der dringend notwendigen internationalen Zusammenarbeit
Das offensichtliche Scheitern der intensiven diplomatischen Bemühungen und Staatsbesuche westlicher Regierungen, wie bspw. Frankreichs und Deutschlands, die absolute Eskalation des Konflikts in Form des Angriffs auf die Ukraine doch noch zu verhindern, ist ein desaströser Schlag gegen jegliche Form der Diplomatie. Hinzu kommt die Tatsache, dass die russische Führung mit dem völkerrechtswidrigen Angriff auf die Ukraine gezeigt hat, dass Verträge und Abkommen für sie nicht bindend sind.
All dies hat zu einer massiven politischen, finanziellen, wirtschaftlichen, moralischen und medialen Isolation Russlands geführt. Doch vor allem ging mit der Entscheidung zur Invasion ein desaströser Vertrauensverlust für das russische Regime einher. Da dies bekanntlich die Grundlage jeglicher Zusammenarbeit und Kooperation ist, liegt es auf der Hand, dass die internationale Zusammenarbeit mit Russland auf allen Kanälen und Ebenen über Jahre hinweg gestört sein wird – und damit wohl auch in den Verhandlungen zu globalen Klimaschutzmaßnahmen im Rahmen der Vereinten Nationen.
„Russland war in Klimafragen nicht die größte Blockade, aber auch nicht der stärkste Partner. Aber Russland ist eine wichtige Quelle fossiler Brennstoffe und von CO2. Wie können wir gemeinsame Anstrengungen in diesen Bereichen angehen, wenn die Grundlage für eine gute Zusammenarbeit fehlt? (…) Es wird schwierig sein, Russland als verlässlichen Partner zu betrachten. (…) Und wenn wir ihnen nicht vertrauen können, nicht in ein anderes Land einzumarschieren, wie können wir dann gemeinsam Klimaziele vereinbaren?“
Prof. Dr. Mark Lawrence, Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für transformative Nachhaltigkeitsforschung
Noch ist nicht abzusehen, wie eine solche weitere Zusammenarbeit für mehr Klimaschutz aussehen kann. Doch es bleibt ungemein wichtig, dass alle Anstrengungen unternommen werden, so konstruktiv und lösungsorientiert wie möglich an dieser globalen Herausforderung zu arbeiten.
Klimaschutz darf nicht geopfert werden
Wir dürfen in dieser turbulenten Zeit nicht unsere Prinzipien und bereits gewonnenen Erkenntnisse im Bereich des Klimaschutzes über Bord werfen. Im Gegenteil. Wir müssen alle politischen, ökologischen und gesellschaftlichen Themen als direkt mit dem Klimaschutz verbunden betrachten. Wenn nun seitens der Bundesregierung kurzfristig 100 Milliarden Euro und langfristig weitere Milliarden in Aufrüstung und militärische Wehrhaftigkeit investiert werden sollen, darf dies nicht bedeuten, dass andere Themenfelder hinten anstehen müssen. Finanzminister Christian Lindner deutete dies jedoch bereits an, indem er verkündete, dass nicht alles, „was wünschbar“ ist, sofort kommen könne.
Die Sanktionen gegen Russland und die Hilfsbereitschaft gegenüber den Geflüchteten dürften jedoch nicht durchhaltbar sein, wenn dadurch die Ärmeren in unserer Gesellschaft noch ärmer werden bzw. eine weitere Verschlechterung ihrer Lebensumstände sehen. Hier ist somit zwingend statt einer Kürzung eine Erhöhung der Gelder im sozialen Bereich notwendig.
In Anbetracht der Tatsache, dass uns nur noch ein kurzes Zeitfenster von wenigen Jahren bleibt, um den Prozess der Erderwärmung positiv beeinflussen zu können, dürfen wir unsere bisherigen Klimaschutz-Bemühungen nicht kurzfristig opfern, um dies dann langfristig bitter zu bereuen. Der Ende Februar veröffentlichte Teil des sechsten Weltklimaberichts legte abermals dar, welche weitreichende Bedrohung der Klimawandel für das Wohlergehen der Menschen und die Gesundheit unserer Erde bedeutet. Nichtsdestotrotz bleiben die nationalen Bemühungen hinter den notwendigen Anforderungen weit zurück. So weit, dass der UN-Generalsekretär António Guterres schlussfolgern musste: „Dieser Verzicht auf Führung ist kriminell!“
Aufgrund der zahlreichen negativen klimapolitischen Konsequenzen, die sich nun aus dem Krieg in der Ukraine ergeben, braucht es somit auch im Bereich des Klima- und Umweltschutzes dringend mehr Gelder, anstatt weniger.
„Wie auch immer wir die Daten hin und her wenden, wir haben nur ein Jahrzehnt, um die CO2-Wende zu schaffen und die Menschen noch vor den größten Risiken des Klimawandels zu schützen.“
Johan Rockström, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), 2018
Darüber hinaus dürfen wir uns nicht aus unseren klimapolitischen Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten stehlen. Zur Erinnerung: Nach dem Klima-Gipfel in Glasgow 2021 wurde abermals beschlossen, dass die Industriestaaten nun doch endlich 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr an die Staaten zahlen sollen, die nicht primär zum Klimawandel beigetragen haben und gleichzeitig am meisten unter ihnen leiden. Auch wenn die Summe durchaus als mickrig und nicht ausreichend bezeichnet werden dürfte (im Vergleich: Deutschland stellte allein für die Flutkatastrophe im Ahrtal 30 Milliarden Euro bereit), wird sie dennoch verfehlt, weil die Industriestaaten nicht genügend Finanzmittel bereitstellen. Neben den hohen Ausgaben wegen der Corona-Pandemie und den Folgen des Krieges in der Ukraine ist auch in den nächsten Jahren zu befürchten, dass dieses eklatante Klimagerechtigkeits-Versagen der reichen Staaten anhalten wird.
Aufgrund all diesen Aspekten ist es umso wichtiger, nun geschlossen und mit Nachdruck für Maßnahmen gegen den Klimawandel einzustehen. Auch wenn der aktuelle Anlass noch so traurig und erschütternd ist, lasst uns diesen womöglich historischen Umbruch nicht verstreichen lassen, ohne weiterhin für eine gesellschaftlich, wirtschaftlich und politisch bessere Welt einzutreten: humaner, solidarischer, weltoffener, ethischer, demokratischer, resilienter, unabhängiger, klimafreundlicher.