Corona macht vor niemandem Halt, ob Frau oder Mann, arm oder reich, ob wir in Deutschland leben oder in Indien. Corona trifft uns alle gleich. Aber stimmt das?
Jein
Natürlich können wir uns alle mit dem Virus infizieren. Doch abgesehen davon, dass etwa ältere Menschen von den Folgen stärker betroffen sind, gibt es noch einige andere bestimmende Faktoren. Faktoren, von denen abhängt, wie wahrscheinlich eine Ansteckung stattfindet und wie schlimm diese verlaufen kann. In meinem letzten Blog-Eintrag habe ich schon beschrieben, dass „social distancing“ für viele Menschen schlichtweg keine Option ist. Doch damit allein endet die Geschichte nicht.
Wer arbeitet wo?
Wer seine Arbeit aktuell im Home Office ausführen kann, hat normalerweise ein geringeres Infektionsrisiko. Schließlich vermeidet man so die Fahrt in vollen Straßenbahnen und den Kontakt zu Kolleg:innen im Büro oder der Fabrik. Nur im absoluten Notfall zu Hause bleiben können aktuell Beschäftigte in Krankenhäusern, Altenheimen oder auch Supermärkten. Schaut man sich an, wie gerade diese „systemrelevanten“ Sektoren in den meisten Ländern besetzt und auch gesellschaftlich gedacht sind, fällt schnell auf: weiblich und migrantisch. Vollständig sollte die Überschrift dieses Artikels also lauten „Ist Corona rassistisch und sexistisch?“.
Die Britin Gina Yashere hat mit Video auf Twitter für Aufsehen gesorgt. Sie kritisiert darin, dass in den lobenden Medienberichten über Krankenhauspersonal kaum Menschen mit Migrationsbiografie gezeigt würden.
Und auch dieser Spot gibt zu bedenken, was Menschen, die vielfach von Rassismus betroffen sind, in der Gesellschaft leisten.
Wen trifft eine Infektion – und wie hart?
Doch der Beruf allein scheint nicht darüber zu entscheiden, wer vermehrt von Infektion betroffen ist. Anfang des Monats wurden schockierende Zahlen aus den USA bekannt, die zeigten, dass afroamerikanische Communities wesentlich stärker unter Corona zu leiden hatten als andere. Beispielsweise machen Afroamerikaner:innen in Chicago 30% der Bevölkerung aus; ihres Todesrate durch Corona liegt allerdings bei 70%. Insgesamt wurde vermeldet, dass mehrheitlich Schwarze* Bezirke eine dreimal so hohe Infektionsrate und eine fast sechsmal so hohe Sterberate aufwiesen wie mehrheitlich weiße Bezirken. Auch für das Vereinigte Königreich liegen mittlerweile Zahlen vor, die in diese Richtung deuten.
Gesundheitssystem
Das hat mehrere Gründe, die wohl ähnlich auch für andere Menschen gelten, die von Rassismus betroffen sind. Gesundheitssysteme sind – wie andere Bereiche der Gesellschaft auch – seit jeher an vielen Stellen von Rassismus durchzogen. In den USA etwa wurde berichtet, Afroamerikaner:innen würden tendenziell seltener auf das Virus getestet. Zudem sind sie überproportional von Armut betroffen und können sich entsprechend oftmals keine Krankenversicherung leisten.
Hinzu kommen häufigere Vorerkrankungen, die die Auswirkungen einer COVID-19-Erkrankung erheblich beeinflussen können. So ist der Berichterstattung aus den USA beispielsweise zu entnehmen, dass afroamerikanische Communities häufiger von Asthma und Diabetes betroffen sind – auch das zurückzuführen auf Versäumnisse und Rassismus im Gesundheitssystem sowie Armut, die rassifizierte Menschen häufiger ereilt.
Lebenssituation
Viele von Rassismus und Armut betroffene Menschen leben außerdem unter beengten Wohnverhältnissen, in denen sich Viren schneller verbreiten. Das geht nicht nur Menschen in großen Städten so, sondern auch zigtausenden Geflüchteten, die in Auffanglagern so gut wie keine Chance haben, entsprechenden Abstand und Hygienemaßnahmen einzuhalten.
Rassismus stärkt Corona // Corona stärkt Rassismus
Alle bisher beschriebenen Phänomene machen deutlich: Rassismus und rassistische Strukturen beeinflussen, wer von Corona in welche Maße betroffen ist. Gleichzeitig zeigt sich gerade in vielen Teilen der Welt, dass Corona Rassismus noch weiter befeuern kann. Populist:innen nutzen das Virus, um Stimmung gegen Menschen aus migrantischen oder rassifizierten Gruppen zu machen. Wir haben auf unserem Blog bereits über Rassismus gegenüber asiatisch gedeuteten Menschen berichtet. In Bulgarien wurde das Gerücht verbreitet, eingereiste Roma hätten das Coronavirus im Land verbreitet. In Folge wurden mehrere von Roma bewohnte Stadtviertel abgeriegelt – und das bei eh häufig völlig desolaten Wohnbedingungen. In Indien hetzten radikale Nationalisten gegen Muslime und behaupteten, diese würden das Virus gezielt verbreiten, um das Land zu unterwandern.
Um also zur Ausgangsfrage zurückzukommen: Ja, Corona kann uns alle treffen; und doch trifft es nicht alle gleich. Die Journalistin Carolina Schwarz fasste das in der taz mit folgenden Worten treffend zusammen: „Wer ohnehin von Rassismus, Klassismus oder Sexismus betroffen ist, wird diese Diskriminierung während Covid-19 noch stärker spüren.“
*„Schwarz“ und „weiß“ werden als soziale Kategorien verstanden und deshalb kursiv geschrieben; das Adjektiv „Schwarz“ wird als politische Selbstbezeichnung groß geschrieben.