Aktuell ist an Reisen in ferne Länder kaum zu denken. Doch in außerpandemischen Jahren steht Reisen bei den Deutschen hoch im Kurs. Im Jahr 2018 beispielsweise unternahmen sie über 70 Millionen Urlaubsreisen. Neben Urlaub im Inland sind Spanien und Italien nach wie vor beliebte Reiseziele. Und auch wenn uns Greta einiges an Flugscham vermittelt hat (danke dafür!) – auf unser tatsächliches Reiseverhalten wirkt sich das leider noch nicht so recht aus, wie Untersuchungen zeigen.
Dabei wäre Flugscham – neben Geld- und Zeitnot – wohl das Einzige, was uns vom Reisen abhalten könnte. Denn: Wer Inhaber:in eines deutschen Passes ist, stehen die Türen weltweit ziemlich offen. Noch nie darüber nachgedacht? Kein Wunder, brauchen Deutsche schließlich für die wenigsten Länder überhaupt ein Visum. In den meisten Fällen gilt: Reise buchen und zack, los geht’s. Damit wird Reisen unabhängig von finanziellen Mitteln und beruflicher Situation auf eine weitere Weise zum Privileg.
Wer darf wohin?
Wer einen deutschen Pass hat, braucht dem Henley Passport Index zufolge gerade einmal für 37 Reiseziele ein Visum. An ganze 189 Orte können Deutsche völlig ohne Visum reisen. Klingt für euch normal? Dann schauen wir mal ans unterste Ende des Reiseindex. Deutschland steht gemeinsam mit Südkorea auf Platz 3 der Liste. Das Schlusslicht bildet Afghanistan. Wer einen afghanischen Pass besitzt, dem stehen läppische 26 Reiseziele offen, für die kein Visum benötigt wird. Mit einem irakischen Pass sind es beispielsweise 28, mit einem ägyptischen 50 und mit einem indischen 58. Weiter oben im Index, angeführt von Japan mit 191 Ländern, finden sich viele unserer europäischen Nachbarn. Um das also noch einmal in den direkten Vergleich zu setzen: Möchte ich – zufällige Inhaberin eines deutschen Passes – auf Reisen gehen, muss ich mich nur in 37 Fällen um ein Visum kümmern; eine Freundin aus Palästina müsste das in 188 Fällen! Und natürlich bleibt es nicht dabei, sich um ein Visum zu bewerben. Es muss auch noch genehmigt werden! Oft sind komplizierte Prozesse, weite Reisen zur nächsten Botschaft und diverse Unterlagen nötig, und das Visum kann nach alledem trotzdem noch verweigert werden.
Warum diese Ungleichheit?
Oder besser: Ungerechtigkeit. Schließlich stehen den Menschen offensichtlich nicht die gleichen Chancen auf internationale Bewegungsfreiheit zur Verfügung. Doch woran liegt´s? Wie entscheidet sich, ob ein Land in die oberen Ränge aufsteigt oder ob sich die Tore der Welt immer weiter schließen? Visafreiheit ist eine Frage politischer Aushandlungen. Länder, die anderen Ländern etwas anzubieten haben, können auch Forderungen – z.B. nach Visafreiheit – stellen. Neben dem Ziel vieler Länder, unerwünscht Einwanderung zu verhindern, spielen auch etwa wirtschaftliche und touristische Interessen eine Rolle. Beispielsweise sollen im Falle Brasiliens auch die Fußball-WM der Männer und die Olympischen Spiele maßgeblich dazu beigetragen haben, dass das Land mit der EU 2012 eine visafreie Einreise – für beide Seiten – aushandeln konnte. Aber auch geopolitische Verbindungen zwischen Ländern und eine koloniale Vergangenheit können von Belang sein. Für viele Menschen bleibt gerade der Weg nach Europa häufig versperrt, auch wenn sie ein Visum beantragt haben. Vielfach wird daran kritisiert, dass Menschen, gerade aus wirtschaftlich ärmeren Ländern, pauschal unterstellt werde, im Zielland bleiben und nicht mehr zurückreisen zu wollen.
Für mehr Bewegungsfreiheit
Wenn ihr mehr über das Thema erfahren oder selbst aktiv werden möchtet, bietet euch zum Beispiel die Organisation VisaWie? viele Informationen. Sie setzt sich unter anderem für mehr Transparenz in Visavergabeprozessen und ein Ende der Vorverurteilung von Menschen in Form der geforderten „Rückkehrbereitschaft“ ein.