„Die Militärs stehen an vorderster Front im Kampf gegen das Covid.“ So lautete im April die Überschrift eines Artikels der kolumbianischen Presse. Die Militärs, von denen da die Rede war, stehen an der Grenze zu Ecuador, wo sich das Corona-Virus nach derzeitigem Stand noch ein bisschen schneller verbreitet hat als in Kolumbien selbst. In beiden Ländern bestehen, ebenso wie im benachbarten Peru, strenge Ausgangssperren. In beiden Ländern aber, wie in allen Ländern mit einer größeren Bevölkerung ohne feste Einkommen, sind diese Strategien des Einsperrens gegen die Ausbreitung des Virus einigermaßen illusorisch. Es sei denn, man will den Virus gleich mit den Menschen aushungern.
Rund 500 Soldaten des Bataillons der kolumbianischen Armee stehen also in Ipiales an der sonst so lebhaften Grenze zu Ecuador, um sie gegen eindringende Ecuadorianer zu verteidigen. Als Ergebnis waren, Stand 5. Mai 2020, 57 Soldaten mit dem Virus infiziert, einer davon verstorben. Das sind über ein Zehntel der Bataillonsangehörigen und fast zwei Drittel der insgesamt in der Grenzregion registrierten Fälle. Die Militär-Strategie ist jetzt umgekehrt: Niemand betritt oder verlässt die Kaserne des Bataillons, heißt die neue Order. Ihre Versorgung und was über ihre Lage und die der übrigen Soldaten in der Kaserne nach außen dringt, bestimmen nunmehr die militärischen Befehlshaber.
Die Hilflosigkeit des Militärs gegenüber dem Virus
Wenn also die Bekämpfung des Corona-Virus ein Krieg ist, wie es nicht nur in Kolumbien martialisch heißt, dann schaut das nach einer handfesten militärischen Niederlage aus. Der Feind hat die Festung von innen erobert. Ähnlich ging es auch den Oberbefehlshabern Macron und Trump, die dem Virus ebenfalls den Krieg erklärten. Auf dem französischen Flugzeugträger „Charles de Gaulle“ haben sich nach Angaben von Frankreichs Verteidigungsministerium (Stand: 06.05.) mehr als tausend Soldaten mit Corona infiziert. Schlimmer noch hat die Virus-Attacke den US-amerikanischen Flugzeugträger „Theodore Roosevelt“ erwischt. Er lag mit seiner mehr als 4000-köpfigen Besatzung nicht vor Madagaskar, sondern vor Guam, und sie hatten Covid-19 an Bord. Außerdem einen verantwortungsvollen Kapitän, der vergeblich versuchte, seine Leute aus der Falle des Schiffes in Unterkünfte an Land auf Guam zu bringen, schließlich hatte auch er die Nachrichten von den Zuständen auf Kreuzfahrtschiffen gesehen. Als die Evakuierung auf dem direkten Dienstweg nicht möglich war, schrieb er einen Brief an seine Vorgesetzten und die Regierung, in dem er u.a. erklärte „Wir sind nicht im Krieg,“ und deshalb dürfe er, anders als in einem bewaffneten Konflikt, nicht zulassen, dass auch nur „ein einziger Matrose unnötig wegen dieser Pandemie stirbt.“ Darauf wurde er von der Regierung als „entweder naiv oder dumm“ bezeichnet und seines Kommandos enthoben. Als die Besatzung schließlich doch an Land gebracht wurde, hatten sich schon über 1000 infiziert. Die Militärspitzen und vor allem die Regierung blieben davon unbeeindruckt.
Der UNO-Generalsekretär – Ein Rufer in die Wüste
Aber militärische Logik scheint sich durch einen erfolgreichen Virus ohnehin nicht beeindrucken zu lassen. Schon am 23. März hatte UN-Generalsekretär Guterres einen Aufruf zur Einstellung der Kampfhandlung in den vielen derzeit tobenden bewaffneten Konflikten veröffentlicht. Frankreich und Tunesien legten dem Sicherheitsrat einen entsprechenden Resolutionsentwurf vor. Doch der Sicherheitsrat, der einst so genannt wurde, weil er für die Sicherheit in der Welt sorgen sollte, weigerte sich, eine solche Resolution zu verabschieden, u.a. weil China einen Verweis auf die Weltgesundheitsorganisation in der Resolution verlangte, was die USA ablehnten. Der diplomatische Krieg um die Schuldigen an dem Corona-Virus ist den Vetomächten im Sicherheitsrat offenbar wichtiger als die Friedenssicherung. Währenddessen werfen die Flugzeuge Saudi-Arabiens und Russlands weiter ihre Bomben ab, gehen auch in anderen Regionen die Kämpfe weiter, obwohl immerhin 16 Konfliktparteien in Asien, Afrika und Lateinamerika jedenfalls offiziell dem Aufruf von Guterres folgen wollten.
An der US-mexikanischen Grenze rüstet die Trump-Regierung gegen den erklärten Willen lokaler Gemeinden weiter auf. Auch hier sollen militärische Methoden und Personal das Eindringen des Virus von außen durch „gefährliche Migrantenkörper“ verhindern. Militante Gegner der Beschränkungen zur Bekämpfung von Corona ziehen in verschiedenen Teilen der USA schwerbewaffnet auf die Straße. Gleichzeitig bestürmt das Pentagon die mexikanische Regierung, sie müsse dringend die Arbeit in den mexikanischen Waffenschmieden wieder hochfahren. Wie man bei dieser doch überraschenden Forderung von Trumps Generälen erfährt, hängt nämlich auch die US-Waffenindustrie von Lieferungen aus Mexiko ab, und so droht der Nachschub für die Gewehre gegen Corona zu versiegen.
Pandemie? – Wir rüsten weiter!
Ob solche Engpässe das weltweite Aufrüsten verlangsamen, wird man sehen. Einstweilen kommt mitten in die Corona-Zeit jedenfalls die Meldung, dass die weltweiten Rüstungsausgaben auf den höchsten Stand seit dem Ende des Kalten Kriegs gestiegen sind. Das Gleiche gilt für die Rüstungsexporte, die die weltweiten bewaffneten Konflikte anheizen. Deutschland hat in der Rangliste der Rüstungsexporteure noch vor Großbritannien und China den vierten Platz eingenommen, mit einer Steigerung von nicht weniger als 17 Prozent innerhalb der letzten fünf Jahre. Bisher gibt es keine Anzeichen, dass die Bundesregierung die Rüstungsexporte, von denen viele in Kriegsländer wie die Türkei gehen, etwa wegen der Mehrausgaben durch die Corona-Krise zurückfahren will. Wer aber durch Rüstung und Krieg die Ausbreitung der Pandemie befördert, macht letztlich auch die Bemühungen zu deren Eindämmung im eigenen Land zunichte. Und ganz gewiss trägt er nichts dazu bei, unser in Artikel 28 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verankertes Recht zu verwirklichen:
„Jeder hat Anspruch auf eine soziale und internationale Ordnung, in der die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten voll verwirklicht werden können.“
Rainer Huhle